Ein Morgen, ein Dach und eine Idee
Anna besitzt ein Mehrfamilienhaus. An einem klaren Morgen sieht sie die Sonne tief über den First streifen und
denkt: „Es wäre doch schön, wenn meine Mieter ihren Strom direkt vom Dach bekommen könnten – günstig, klimafreundlich
und ohne komplizierte Umwege.“ Der Gedanke lässt sie nicht mehr los. Eine Photovoltaikanlage ist schnell
geplant. Was Anna jedoch beschäftigt, sind die Fragen zur Steuer: Muss sie wirklich 19 % Umsatzsteuer auf die
Lieferung an die Mieter berechnen? Was bedeutet die Kleinunternehmerregelung? Gilt die Einkommensteuerbefreiung
auch, wenn der Strom an Mieter fließt? Wie ist das mit der Stromsteuer und der Gewerbesteuer?
Dieser Text begleitet Anna durch genau diese Fragen – in einfacher Sprache, ohne Fachchinesisch, mit Beispielen
und einer klaren Reihenfolge. Ziel: Du sollst am Ende genau wissen, was du wann zu tun hast und warum.
Der erste Knoten löst sich: Was die Umsatzsteuer wirklich verlangt
1) Warum die Lieferung an Mieter 19 % USt hat
Die wichtigste Weiche hat der Bundesfinanzhof 2024 gestellt: Wenn Vermieter Strom aus der eigenen PV-Anlage an
Mieter liefern, ist das keine Miet-Nebenleistung, sondern eine eigenständige Hauptleistung.
Und eigenständige Stromlieferungen sind grundsätzlich umsatzsteuerpflichtig – mit dem Regelsteuersatz von 19 %.
Woran erkennt man in der Praxis diese eigene Leistung? Drei Indizien helfen:
- Separater Vertrag: Mietvertrag ist das eine – Stromliefervertrag das andere.
- Verbrauchsabhängige Abrechnung: Abgerechnet wird nach Zählerstand und kWh, nicht als Pauschale in der Kaltmiete.
- Freie Lieferantenwahl: Mieter können grundsätzlich ihren Stromlieferanten wählen; der Mieterstrom ist ein optionales Angebot.
Treffen diese Punkte zu, handelt es sich um eine eigene Stromlieferung – und damit um eine Leistung, für die bei
Regelbesteuerung 19 % USt auszuweisen sind.
Quelle: BFH, Urteil vom 17.07.2024 – XI R 8/21 • § 12 UStG
2) Bedeutet das, dass immer 19 % auf der Rechnung stehen müssen?
Nein. Das Urteil beschreibt die Einordnung der Leistung (sie ist grundsätzlich steuerpflichtig). Ob die
19 % wirklich auf deiner Rechnung stehen, hängt von deinem Umsatzsteuer-Status ab:
- Regelbesteuerung: Du weist 19 % USt aus und darfst Vorsteuer ziehen (z. B. aus Messdienst, Wartung, Versicherung, Beratung).
- Kleinunternehmerregelung (KUR): Wenn du die Schwellen einhältst, stellst du ohne USt in Rechnung (mit Hinweis auf § 19 UStG), dafür ohne Vorsteuerabzug.
3) Die KUR-Grenzen ab 2025: 25.000 €/100.000 €
Seit dem 01.01.2025 gilt eine modernisierte Kleinunternehmerregelung. Entscheidende Schwellen sind:
- 25.000 € Vorjahresumsatz (Grenze 1), und
- 100.000 € voraussichtlicher Umsatz im laufenden Jahr (Grenze 2).
Wer die Grenzen einhält, kann KUR anwenden. Wird im laufenden Jahr absehbar, dass die 100.000 € überschritten
werden, kann es zum unterjährigen Wechsel in die Regelbesteuerung kommen. Deshalb ist es wichtig, die
Entwicklung der Umsätze im Blick zu behalten – besonders bei mehreren Objekten oder wenn zusätzliche Leistungen
(z. B. Ladepunkte) dazukommen.
Quelle: BMF-Übersicht (18.03.2025) • BMF-Schreiben (PDF)
4) 0 % USt bei PV-Kauf und -Installation: ein echter Vorteil, aber nur für die Investition
Seit 01.01.2023 gilt für die Lieferung und Installation vieler PV-Anlagen und Speicher der
Nullsteuersatz (§ 12 Abs. 3 UStG). Das bedeutet: Auf der Rechnung des Installateurs stehen 0 % USt
(wenn die Voraussetzungen erfüllt sind). Das entlastet die Investition spürbar. Wichtig ist, dass dieser Vorteil
die spätere Lieferung an Mieter nicht betrifft – diese bleibt (bei Regelbesteuerung) mit 19 % zu versteuern.
Quelle: BMF-Übersichtsseite • BMF-Schreiben 27.02.2023 (PDF)
5) Zwei kurze Rechenwege, die du sofort nutzen kannst
- Netto-Kalkulation (Regelbesteuerung): Zielumsatz 36.000 € netto ⇒ + 19 % USt
= 6.840 € ⇒ Brutto 42.840 €. Die tatsächliche Zahllast ist
USt (Ausgang) minus Vorsteuer (Eingang). - Bruttofixpreis (kommunikativer Endpreis): 0,30 €/kWh brutto enthält
19/119 ≈ 0,1597 USt-Anteil ⇒ rund 0,048 €/kWh USt; netto ≈ 0,252 €/kWh. Leicht zu kommunizieren, aber
die Nettomarge schwankt mit den Betriebskosten.
Einkommensteuer: Warum § 3 Nr. 72 EStG so entspannt
Für Privatpersonen (und viele Personengesellschaften) gilt: Einnahmen aus PV-Anlagen auf, an oder in Gebäuden sind
innerhalb bestimmter Leistungsgrenzen einkommensteuerfrei. Kurz gefasst:
bis 30 kWp je Wohn-/Gewerbeeinheit und insgesamt bis 100 kWp je
Steuerpflichtigem/Mitunternehmerschaft (Details und Beispiele enthält das BMF-Schreiben).
Diese Befreiung greift auch, wenn der erzeugte Strom an Mieter geliefert wird – also genau für
das, was Anna vorhat.
Quelle: BMF-Übersicht • BMF-Schreiben 17.07.2023 (PDF)
Was bedeutet das im Alltag? Anna muss keine Gewinnermittlung für die PV-Anlage erstellen, solange sie innerhalb
dieser Grenzen bleibt. Das spart Aufwand und Gebühren – und macht das Thema PV für Vermieter viel
leichter zugänglich. Wichtig: Die Befreiung betrifft die Einkommensteuer. Sie ändert nichts an der
Umsatzsteuer (19 % bei Regelbesteuerung) oder an der Stromsteuer (siehe unten).
Stromsteuer: 2 MW, 4,5 km und der Blick zum Hauptzollamt
Neben der Umsatzsteuer gibt es die Stromsteuer (Verbrauchsteuer). Für Mieterstrom ist sie häufig
nicht zu zahlen, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind:
- Anlagenleistung: Die Stromsteuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 b StromStG gilt u. a. für
Strom aus Erneuerbare-Energien-Anlagen bis 2 MW, der an Letztverbraucher
geliefert wird (z. B. an die Mieter deines Hauses). - Räumlicher Zusammenhang: Die Entnahmestellen (Wohnungen) müssen im Umkreis von
bis zu 4,5 km zur Erzeugungsanlage liegen. Für klassische Mieterstrommodelle im Quartier ist
das in der Regel problemlos erfüllt. - Erlaubnis/Anzeige & Meldungen: Wer steuerbegünstigten bzw. -befreiten Strom liefern oder entnehmen will,
benötigt in der Regel eine Erlaubnis bzw. muss eine Anzeige beim zuständigen Hauptzollamt
machen. Üblich sind zudem jährliche Meldungen (teils als Nullmeldung, wenn nichts Steuerpflichtiges anfällt).
Übersetzt: Wenn Anna die 2-MW-Grenze einhält, im 4,5-km-Radius liefert und die Formalitäten mit dem Hauptzollamt
regelt, ist ihr Mieterstrom stromsteuerfrei.
Quelle: § 9 StromStG (buzer.de) • Zoll: Steuerfreie Verwendung & räumlicher Zusammenhang • § 9 Abs. 4 StromStG – Erlaubnis
Gewerbesteuer: Die 20-%-Regel schützt Immobiliengesellschaften
Viele Vermieter bündeln Objekte in einer vermögensverwaltenden GmbH oder in einer grundstücksverwaltenden
Personengesellschaft. Hier ist die sogenannte erweiterte Kürzung bei der Gewerbesteuer zentral.
Gute Nachricht: Durch eine Gesetzesänderung vom 27.03.2024 bleibt die erweiterte Kürzung trotz
PV-Stromlieferungen erhalten, wenn die Einnahmen daraus ≤ 20 % der Mieteinnahmen liegen – und
zwar rückwirkend ab Erhebungszeitraum 2023. Vorher lag die Grenze bei 10 %. Damit ist mehr
Spielraum für Mieterstrom geschaffen.
Quelle: Wachstumschancengesetz – Änderung § 9 GewStG • Synopse GewStG (28.03.2024)
Für Anna heißt das: Selbst wenn sie die Stromlieferungen über eine Immobiliengesellschaft abrechnet, bleiben die
gewerbesteuerlichen Vorteile erhalten – solange die PV-/Ladeerlöse im Verhältnis zu den Mieteinnahmen unter
20 % bleiben. Das verschafft Planungssicherheit.
Vom Plan zur Praxis: So setzt du Mieterstrom einfach um
1) Klare Trennung: Miete ist Miete – Strom ist Strom
- Separater Stromliefervertrag: Eigenes Dokument mit Preislogik, Abrechnung, Zählerangaben, Kündigung, Lieferantenwahl.
- Messkonzept: Unterzähler pro Einheit; Abgrenzung zum Allgemeinstrom; jährliche Ablesung; nachvollziehbare Dokumentation.
- Abrechnung: Verbrauchsabhängige Rechnung (kWh), Pflichtangaben, deutliche Darstellung Netto/USt/Brutto – oder bei KUR der Hinweis auf § 19 UStG.
2) Preisgestaltung, die jeder versteht
Du kannst netto kalkulieren (und 19 % aufschlagen) oder einen Bruttoendpreis nennen, der alles bereits enthält.
Beides ist zulässig. Wichtig ist, dass die Darstellung einfach und transparent bleibt. Ein kurzer
Erklärblock in Angebot und Rechnung („So setzt sich Ihr Preis zusammen“) nimmt Vorbehalte bei den Mietern.
3) Umsatzsteuer-Pflichten ohne Stress
- Regelbesteuerung: 19 % ausweisen, Vorsteuer nutzen (sofern anfällt). Viele Anschaffungen der PV sind 0 % – dort gibt es naturgemäß keine Vorsteuer.
- KUR: Rechnung ohne USt, Hinweis auf § 19 UStG, aber kein Vorsteuerabzug.
- Voranmeldungen & Jahreserklärung: Elektronisch via ELSTER; Fristen im Blick behalten; Summen sauber abgleichen.
4) Einkommensteuer prüfen und abhaken
Liegt deine(n) Anlage(n) innerhalb der Grenzen des § 3 Nr. 72 EStG, sind die Einnahmen einkommensteuerfrei. Das
reduziert die Bürokratie spürbar. Bei mehreren Anlagen oder Mitunternehmerschaften lohnt sich ein kurzer Blick mit
der Steuerberatung auf die kWp-Summen.
5) Stromsteuer: Einmal sauber starten, dann läuft es
Erlaubnis/Anzeige beim Hauptzollamt, jährliche Meldungen, 2-MW-Grenze einhalten, 4,5-km-Radius checken –
das klingt viel, ist aber mit einer Checkliste schnell erledigt. Im Zweifel kurz beim Zoll nachfragen;
die Kolleginnen und Kollegen dort kennen diese Fälle.
6) Immobiliengesellschaft? 20-%-Deckel beachten
Wer die erweiterte Kürzung behalten möchte, hält PV-/Ladeerlöse unter 20 % der Mieteinnahmen. Das ist
erfahrungsgemäß gut planbar – und in vielen Mieterstrommodellen ohnehin gegeben.
Kurze Antworten auf typische Rückfragen
„Muss ich wegen des BFH-Urteils immer 19 % ausweisen?“
Nein. Das Urteil sagt, die Stromlieferung ist eine eigene, steuerpflichtige Leistung. Die 19 % weist du
aus, wenn du regelbesteuert bist. Bei KUR stellst du ohne USt in Rechnung (Hinweis § 19 UStG).
„Gilt der 0-%-Satz auch für die Stromlieferung?“
Nein. 0 % gelten für den Kauf/Installation begünstigter PV-Anlagen/Speicher (Investition), nicht für die
Lieferung an Mieter. Diese ist (bei Regelbesteuerung) mit 19 % zu versteuern.
„Was passiert ab 2025 mit der Kleinunternehmerregelung?“
Es gelten 25.000 € (Vorjahr) und 100.000 € (laufendes Jahr). Wird die 100.000-€-Marke im laufenden Jahr
erkennbar überschritten, kann es zum unterjährigen Wechsel in die Regelbesteuerung kommen.
„Wie wirkt die Einkommensteuerbefreiung?“
Liegt deine PV innerhalb der Grenzen des § 3 Nr. 72 EStG, sind die Einnahmen einkommensteuerfrei – auch bei Lieferung
an Mieter. Das spart Zeit und Aufwand.
„Brauche ich wegen der Stromsteuer etwas vom Zoll?“
In der Regel ja: Erlaubnis/Anzeige beim Hauptzollamt und jährliche Meldungen. Bis 2 MW und im 4,5-km-Radius
ist Mieterstrom typischerweise stromsteuerfrei.
„Und wenn ich eine Immobilien-GmbH nutze?“
Bis 20 % PV-/Ladeerlöse (bezogen auf Mieteinnahmen) bleibt die erweiterte Kürzung erhalten – rückwirkend ab
Erhebungszeitraum 2023.
Alles auf einen Blick – die fünf Punkte, die wirklich zählen
- Umsatzsteuer (USt): Mieterstrom ist eine eigene Leistung. Regelbesteuerung = 19 %.
KUR = ohne USt (kein Vorsteuerabzug). PV-Investitionen häufig 0 % USt (separate Frage). - KUR ab 2025: 25.000 € Vorjahr, 100.000 € laufendes Jahr; unterjähriger Wechsel möglich.
- Einkommensteuer (ESt): § 3 Nr. 72 EStG befreit Einnahmen/Entnahmen innerhalb der Leistungsgrenzen – auch bei Lieferung an Mieter.
- Stromsteuer: Bis 2 MW und im 4,5-km-Radius oft befreit; Erlaubnis/Anzeige und jährliche Meldungen beachten.
- Gewerbesteuer: Erweiterte Kürzung bleibt bei PV-/Ladeerlösen ≤ 20 % der Mieteinnahmen erhalten (rückwirkend ab 2023).